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NACHBERICHT: Internationale Bau- und Technologieausstellung (IBTA) Rheinisches Zukunftsrevier. Ausnahmezustand auf Zeit oder transformative Wende als Dauerzustand?

1. Dezember 2023

Elke Beccard
Elke Beccard

v.l. Erik Schöddert, RWE Power AG / Perspektive.Struktur.Wandel GmbH; Prof. Dr. Wolfgang Wackerl, Büro strategische Projektentwicklung, Köln; Volker Mielchen, Zweckverband Landfolge Garzweiler; Prof. Dr. Agnes Förster, RWTH Aachen / STUDIO | STADT | REGION, München; Prof. Dr. Rolf Kuhn, Geschäftsführer IBA Fürst-Pückler-Land; Prof. Isabel Finkenberger, FH Aachen / STUDIO if+ / Stadtplanerin BDA Köln

Rund um die drei großen Löcher, die der Tagebau im Rheinischen Revier hinterlassen hat, liegt die größte Landschaftsbaustelle Europas. Köln ist zwar kein direkter Anrainer, aber zum Beispiel Morschenich-Alt, ein Dorf am Rande des Tagebaus Hambach, ließe sich mit einer kurzen Radtour in etwa zwei Stunden erreichen. Der BDA Köln sei interessiert an Impulsen seiner neuen Mitglieder, so Vorstand Thomas Knüvener bei seiner Begrüßung, und so ist es Stadtplanerin und Professorin Isabel Maria Finkenberger zu verdanken, dass das Thema an diesem Abend in die Mitte Kölns kommt. Sie forscht zum Thema „Zukunftsfähige Transformation“ und moderiert die von ihr konzipierte Veranstaltung.

Stand der Dinge

Zunächst gibt es eine Art Infobox zur Lage im Revier: Dazu zählen die Kreise Düren, Euskirchen, Heinsberg, der Rhein-Erft-Kreis und der Rhein-Kreis Neuss sowie die Städteregion Aachen und die Stadt Mönchengladbach. Vom Kernrevier spricht man in Bezug auf die Areale rund um die drei Tagebaue Inden, Hambach und Garzweiler. Der Strukturwandel wird unterstützt von der Zukunftsagentur Rheinisches Revier GmbH, welche u.a. das Wirtschafts- und Strukturprogramm verantwortet und die Förderung von Projekten über das sogenannte Sterneverfahren koordiniert. Ihr zugeordnet sind diverse Facharbeitskreise, unter anderem einer für die IBTA. Ein Memorandum dazu mit über 100 Seiten, erarbeitet von Region Köln/Bonn e.V., dem Revier und zahlreichen lokalen und externen Expert*innen, liegt seit 2022 vor und ist an das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung NRW übergegangen, das für nächstes Jahr die Gründung einer mit 2,5 Milliarden Euro budgetierten IBTAGmbH plant.

Initiative aus der Region

Wolfgang Wackerl, „Planungsstratege und regionaler Ideenschmied“, so stellt Finkenberger ihn vor, hat mitgearbeitet an diesem Memorandum (https://ibta.tech/). Die Region wünscht sich eine IBTA und will sie in Kooperation mit vielfältigen Akteuren im Raum auf den Weg bringen, führt er aus. Der Strukturwandel über einen langen Zeitraum hinweg brauche eine qualifizierte Begleitung. Er beschreibt das Revier als Raum, der viele spezifische „Begabungen“ für seine Rekultivierung entwickelt hat.

„Wir haben viele parallellaufende Maßnahmen, und es fehlt an Formaten, die das zusammenbringen,“ so Wackerl. Die IBTA ist ein Format mit hohem Qualitätsanspruch, welche Next-Practice-Projekte in Demonstrationsräumen bündelt, die über einen längeren Zeitraum entwickelt werden, an sich selbst lernen und zu gesetzten Zeiten, sogenannten „ExPOSITIONEN,“ als Ausstellung zum Austausch einlädt. Neu am Rahmenkonzept ist das „T“ für Technologie. Für Wackerl ist entscheidend, Technologie und Raumentwicklung als gemeinsame Gestaltungsaufgabe wahrzunehmen und zu verzahnen.

Getragen wird das Memorandum auch von verschiedenen Tagebauumfeldinitiativen, die sich im Revier gebildet haben, wie die Neuland Hambach GmbH oder der Zweckverband Landfolge Garzweiler. Volker Mielchen vertritt letzteren; sein Anliegen ist, die Menschen rings um den Tagebau, die dieser getrennt hat, wieder zu verbinden und über eine gemeinsame Zukunft nachzudenken. Die Tagebauverbünde streben nach einer Vernetzung der Region unter einem konzeptionellen Dach, um Demonstrationsraum zu sein „mit hoher Ambition, hoher Qualität“ und um dort Zukunft auszuprobieren, so Mielchen. Wichtig ist in seinen Augen auch die Begleitung über einen längeren Zeitraum hinweg als üblich, denn viele Entwicklungen können erst nach dem Ende des Tagebaus in den 30er Jahren richtig beginnen. Als weitere Stimme aus der Region war Georg Gelhausen eingeladen, Bürgermeister der Gemeinde Merzenich, der aber krankheitsbedingt leider nicht teilnehmen konnte.

IBA in der Tagebauregion Lausitz

Zwischen 2000 und 2010 fand die IBA Fürst-Pückler-Land in der Lausitz statt. Finkenberger zeigt in ihrer Präsentation u.a. das Besucherbergwerk F60 in Lichterfelde, die IBA-Terrassen am Lausitzer Seenland Großräschen, die Biotürme in Lauchhammer und schwimmende Häuser auf dem Geierswalder See. „Alle diese Projekte hätte es ohne IBA nicht gegeben,“ sagt Rolf Kuhn, ehem. Geschäftsführer IBA Fürst-Pückler-Land. Zu Zeiten der Ausstellung selbst waren einige Projekte sehr umstritten. „Manchmal muss man die Dinge fast ein bisschen stur oder jedenfalls mit dickem Fell durchsetzen, weil sie nicht von vornherein auf der Hand liegen,“ so Kuhn. Jetzt, mit einem 13-jährigen Abstand, erlebe er so viel Zuspruch wie nie zuvor. Der Tourismus in der Lausitz gilt Kuhn als „Lackmuspapier“ für den Wandel von einem abstoßenden Landstrich mit zerstörter Natur, Staub und Dreck zu einer anziehenden Region.

Lernendes Netzwerk

Einblick in mehrere Internationale Bauausstellungen aus den letzten Jahren hat auch Agnes Förster, Professorin an der RWTH Aachen. Sie beschreibt das bisherige IBA Konzept als „ein Lernprozess über zehn Jahre anhand von konkreten Projekten, der in einer Ausstellung mündet – sozusagen als gemeinsame Karotte, auf die man zuläuft.“ Für Förster ist die Akteursfrage zentral: Wer sind diejenigen, die hier ihr räumliches Wirken verbessern wollen, und welche Form von Mehrebenen-Ansatz wird gelebt? Planungskultur solle die Kultur der Machenden sein, und die IBTA könne als Format Impulse im Sinne eines lernenden, suchenden Netzwerks bieten.

Eine zentrale Adresse in diesem Netzwerk ist die Perspektive.Struktur.Wandel GmbH: ein Zusammenschluss des Landes NRW und der RWE Power AG für Konzepte zur Transformation u.a. der Betriebsflächen der RWE Power AG. Erik Schöddert ist einer der beiden Geschäftsführer.  Hangsicherung, Wasserhaushalt, neue Biotope: Im Unternehmen RWE ist viel Knowhow zum Umgang mit den Tagebauen gebündelt. Schöddert versichert, dass sein Unternehmen, was Strukturwandelprojekte angeht, mit all seinem Fachwissen und offen und kreativ mitarbeiten wolle und das auch schon tue.

„Es gibt eine ganz tiefe Verbundenheit des Unternehmens mit der Region und eine ganz große Verantwortung für die Region,“ so Schöddert. Er fordert Respekt vor den gewachsenen Strukturen. Wie soll eine sozial-ökologische Transformation des Reviers aussehen und wer entscheidet das, fragt er. Ein Dorf nach den Vorstellungen von „Akademikerfamilien in Köln Sülz“, die das achtsame Leben für sich entdecken und auf dem Land wohnen wollen, hat nach seiner Einschätzung mit einem rheinischen Dorf, in dem die Jugend den Maibaum verteidigt, nichts zu tun.

IBTA Rheinisches Zukunftsrevier?

Als Lernraum für die Entwicklung der Tagebau-Reviers mit seinen verlassenen Dörfern, Löchern, Abraumhalden und bald stillgelegten Kraftwerken wird die IBTA in der Region dringend gewünscht, das hat der Abend gezeigt. Doch gibt es hier noch ein Fragezeichen, zu dem man das Ministerium gerne gehört hätte: Wann kann es endlich losgehen? Und wie sieht ein qualitativ hochwertiger IBTA-Prozess aus? Der Einladung zum BDA Montagsgespräch ist das Ministerium nicht gefolgt. Ob also, wie der Untertitel der Veranstaltung fragt, die IBTA als Ausnahmezustand auf Zeit angelegt sein wird oder die transformative Wende als Dauerzustand einleitet, ist derzeit noch eine hypothetische Frage. Hoffen wir, dass sie konkret wird und noch viele BDA Montagsgespräche füllt.

Autorin: Ira Scheibe

 

Hier das komplette Montaggespräch zum Nachhören: